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Das Marburger Konzentrationstraining  (MKT)

Etwa 5-8 % aller Kinder Ieiden an einer Konzentrationsstörung (Barkley, 1998). Sie werden in der Literatur häufig als träumerisch, Chaosprinzessin oder Zappelphilipp bezeichnet. Welche dieser Bezeichnungen auf das Verhalten Ihres Kindes am besten passt, hängt mit den verschiedenen Arten von AD(H)S zusammen (Döpfner, Frölich & Lehmkuhl, 2001). Besonders die vom stillen ADS—Typ betroffenen Kinder sind bekannt für ihren unorganisierten Arbeitsstil, Flüchtigkeitsfehler und die Träumerei. Ihre Mütter beklagen sich oft, dass sie ihr Kind bei den Hausaufgaben ständig antreiben und ,,beaufsichtigen” müssen.

Konzentrationsschwache Kinder zeigen häufig ein geringes Durchhaltevermögen bei schulischen Aufgaben. Charakteristisch ist, dass diese Probleme in einer Gruppensituation, wie sie beispielsweise in der Schule existiert, besonders zu Tage treten. Dies mag daran liegen, dass Gruppensituationen mehr Ablenkungsmöglichkeiten bieten. Zudem kommt jedem einzelnen Kind weniger Aufmerksamkeit durch den Erwachsenen zu und es müssen mehr Regeln beachtet werden (z. B. “Ich melde mich, wenn ich etwas sagen möchte.” oder “Ich warte ab, bis ich dran bin.”).

Viele dieser Kinder werden heute in ergotherapeutischen Praxen vorstellig. Dabei stellt sich die Frage, welche erprobten Programme existieren, die auch (oder gerade) von Ergotherapeuten durchgeführt und gegebenenfalls in ihre sonstigen Therapiekonzepte integriert werden können, um diesen Kindern fachgerechte Hilfe zu bieten. Ein mögliches Training hierfür ist das Marburger Konzentrationstraining (MKT) des Schulpsychologen Dieter Krowatschek. Im Vordergrund des Trainings steht dabei, den Arbeitsstil der Kinder grundlegend zu ändern. Schließlich gerät die Mehrzahl konzentrationsschwacher Kinder aufgrund ihres problematischen Arbeitsstils in einen Teufelskreis.

Den Teufelskreis durchbrechen

Das MKT setzt gleich an verschiedenen Stellen eines solchen Teufelskreises an. Grundlegend dürfte dabei eine Änderung des Arbeitsstils sein. Aber auch der Umgang mit Fehlern wird trainiert (“Ein Fehler ist keine Katastrophe!”), Die Selbstständigkeit wird gefordert und das Zutrauen in die eigenen Fähigkeiten aufgebaut. Wie in vielen anderen Trainings auch, wird anhand der Methode der verbalen Selbstinstruktion nach MEICHENBAUM und GOODMAN (1971) ein reflektierter Arbeitsstil eintrainiert. MEICHENBAUM und GOODMAN konnten bereits in den 70er Jahren beobachten, dass problematische Situationen oder schwierige Aufgaben besser gemeistert werden, wenn man sich selbst Instruktionen gibt, wie bei der Aufgabe oder in der Situation vorzugehen ist. Tatsächlich zeigen auch Erwachsene immer wieder Formen der Selbstinstruktion. Man denke nur an einen Besuch im Supermarkt, bei dem man vor den Regalen steht und leise murmelnd überlegt, was noch alles einzukaufen ist. Dieses Prinzip macht sich das Training zu Nutze. Durch eine schrittweise Heranführung werden die Kinder durch die Verinnerlichung der Selbstgespräche in die Lage versetzt, ihr eigenes Handeln besser zu lenken und bei Aufgaben überlegter vorzugehen. Dabei wird Trainiert, zunächst die Aufgabenstellung ausreichend zu erfassen (“Was soll ich tun?” und “Habe ich die Aufgabenstellung richtig verstanden?”). Im Anschluss daran geht es um ein überlegtes und strukturiertes Bearbeiten der Aufgabenstellung. Mithilfe altersangemessenen Übungszettels wird die Methode in fünf Schritten eintrainiert:

1. Anfangs fungiert der Trainer als Modell für die Trainingsteilnehmer. Alle Kinder können zunächst zuschauen, wie der Erwachsene eine Aufgabe löst. Während er die Aufgabe bearbeitet, begleitet er seine einzelnen Schritte mit lauten Selbstinstruktionen (“Zunächst lese ich die Aufgabenstellung durch. Dann setzte ich den Stift am ersten Punkt an. Nun gehe ich fünf Kästchen nach unten”).

2. Im zweiten Schritt führt der Trainer die Aufgabe erneut durch und spricht die einzelnen Arbeitsschritte wieder laut aus (verbale Selbstinstruktion). Dieses Mal machen alle Trainingskinder mit, indem sie jeder Anweisung des Erwachsenen folgen.

3. Nun kommt das eigentliche Training, Ein Kind instruiert die anderen Gruppenmitglieder, wie sie bei der Aufgabe vorzugehen haben. Es übernimmt dementsprechend die Rolle, die zuvor der Trainer (im 2. Schritt) inne hatte. Das Kind führt die Aufgabe durch und spricht dabei laut mit, wie es die Aufgabe bearbeitet. Während Schritt eins und zwei lediglich einmal durchgeführt werden (in der ersten Sitzung), wird Schritt drei Über fast alle Trainingsstunden eingeübt.

4. und 5. In Schritt vier instruiert jedes Kind sich selbst flüsternd. Im letzten Schritt instruieren sich die Kinder nun selbstständig im Kopf, ohne zu sprechen. Das laute Sprechen wurde so in den letzten Trainingsstunden in ein inneres Sprechen überführt.

Hierbei werden neben der Förderung eines reflektierten Arbeitsstils auch andere wichtige Fähigkeiten Trainiert. So muss das Kind abwarten, zuhören sowie eine vorgegebene Struktur einhalten können.

Das Training für die Kinder

Das Training für die Kinder folgt in jeder Stunde einer gleichbleibenden Struktur. Zunächst findet eine dynamische Übung statt. Sie baut die angestaute Energie des Tages ab und leitet das Training ein. Gleichzeitig schafft sie eine gute Basis für die anschließende Entspannungsübung. Dann nämlich heißt es, seine Fantasie auf eine Reise mit dem Zauberteppich oder einem kleinen Roboter zu schicken (KROWATSCHEK & HENGST, 2007). Die Entspannungsübungen werden als interessante Fortsetzungsgeschichten durchgeführt und enthalten autosuggestive Formeln. So lernen die Trainingskinder, bewusst zur Ruhe zu kommen, sich zu entspannen und die Gedanken eine Zeitlang baumeln zu lassen. Weiter geht es mit einer Arbeitsphase zur Übung der verbalen Selbstinstruktion. Das Vorgehen wurde bereits weiter oben näher beschrieben. Hieran schließt sich eine Übung zur Förderung der Wahrnehmung an. Dabei werden über die verschiedenen Sitzungen hinweg alle Sinne angesprochen und trainiert. Die Übungen werden so gestaltet, dass zusätzlich ein Training des Kurzzeitgedächtnisses stattfindet, da hier viele Kinder Defizite aufweisen. In der anschließenden zweiten Arbeitsphase wird erneut eine Übung zur verbalen Selbstinstruktion und zum Arbeitsverhalten durchgeführt. Diesmal müssen neun Bildkarten, die sich lediglich in drei Merkmalen unterscheiden, auf eine Vorlage aufgelegt werden. Karte und Vorlage sollen dabei übereinstimmen. In den letzten fünf Minuten des Trainings findet schließlich eine freie Spielphase statt, in der sich jedes Kind ein attraktives konzentrationsförderndes Spiel aussuchen kann.

Auf dem wissenschaftlichen Prüfstand

Seitdem das Training in den 90er Jahren entwickelt wurde, fanden immer wieder wissenschaftliche Überprüfungen (vornehmlich durch Diplomarbeiten) statt. Die Ergebnisse deuten auf positive Effekte des Trainings in unterschiedlichen Bereichen. So zeigten die Kinder nach Trainingsende einen verbesserten Arbeitsstil, positive Veränderungen in ihrem Lernverhalten und eine Reduktion der emotional bedingten Verhaltensprobleme (KROWATSCHEK, 1996). Auch die Eltern-Kind-Interaktion wies nach dem Training eine deutliche Verbesserung auf: So lobten die Eltern ihre Kinder häufiger, unterstützten sie angemessener bei den Hausaufgaben und förderten mehr die Selbstständigkeit (DRÖGE, 1995). Auch nahmen die Kinder ihre Eltern positiver wahr und verhielten sich ihren Müttern gegenüber freundlicher. In einer Dissertationsarbeit aus Göttingen erzielte das MKT in einer Vergleichsstudie mit anderen Konzentrationstrainings die besten Resultate (DREISÖRNER, 2004). Insgesamt zeichnen die Evaluationsergebnisse damit ein vielversprechendes und erfreuliches Bild und unterstreichen eine Eignung des Trainings für die Praxis.

(Textquelle Artikel Praxis für Ergotherapie von Holger Domsch, Antje Graf)